Anna Debora Zimmermann
Die Erinnerung ist noch frisch: vor einem Jahr, im Frühjahr 2016, waren wir - eine Gruppe von Künstlern und Künstlerinnen aus dem Berufsverband Bildender Künstler Heidelberg und eine Gast-Künstlerin aus Ulm – gerade sehr beschäftigt. Wir verwandelten Zäune, streuten Asche aus, installierten Skulpturen, Fahnen und andere Objekte, hängten Bilder auf und bemalten Zimmerwände....., kurz, wir befanden uns mitten im Aufbau zur Kunstausstellung „Zäsur“ in der Kommandantenvilla und dem sie umgebenden Park des ehemaligen Headquarters der US-Amerikaner in Heidelberg.
Die Idee dazu hatte die in Rohrbach lebende Künstlerin Grete Werner-Wesner. Sie war von den, seit dem Abzug der US-Streitkräfte leer stehenden Gebäuden in ihrer Umgebung inspiriert worden und wollte diese auch zum Ort der Kunst werden lassen. Gemeint waren die kasernenartigen Alltagsbauten der amerikanischen Bevölkerung, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den in den Stadtteilen Rohrbach und Südstadt lebenden Heidelbergern befanden und seit dem 11. September 2007 mit hohen Zäunen und Sicherheitsanlagen befestigt worden waren. Unzugänglich und unbelebt lagen nun diese riesigen Areale da und schienen zu warten, mit dunklen Fensterhöhlen und mittlerweile wild überwucherten Spielgeräten und Plätzen. Allerdings kam es dann ganz anders. Zwar hatte sich die Stadt Heidelberg sofort einverstanden erklärt, die Kunstaktion zu unterstützen, stellte jedoch anstelle der vorgesehenen Wohngebäude der Amerikaner die Kommandantenvilla mit ihrem Park zur Verfügung, was folglich einer gewissen Neuausrichtung bedurfte. Jetzt waren wir mit unserer Kunst mitten im ehemaligen Zentrum der Macht gefragt.
Dem voraus gegangen waren erste Besichtigungen mit dem Amt für Konversion, erste Besuche des Ortes, die auch für die Städtischen Institutionen Neues zum Vorschein brachten: in die Villa war eingebrochen worden, Fenster beschädigt, Räume zum Partyfeiern und Übernachten benutzt, sowie verwüstet worden... Wie auf dem restlichen Gelände auch, war hier in aller Abgeschiedenheit der Vandalismus eingezogen, so dass das Haus zuallererst mit Fensterläden gesichert und ein Nachtwächter engagiert werden musste. Der hat dann mit großem Interesse und sehr kenntnisreich unsere zum Teil aufwändigen Installationsaufbauarbeiten kommentiert und begleitet.
Zäsur – so der Titel der Ausstellung, Zäsur in der Geschichte Heidelbergs. Kein sanfter Umwandlungsprozess, sondern ein scharfkantiger Übergang von langjähriger militärischer Nutzung zur zivilen Neubelebung und „In-Besitz-Nahme“, den wir von Grete Werner-Wesner eingeladenen Künstler und Künstlerinnen aktiv mit Hilfe der Kunst gestalten und reflektieren wollten. Es sollten Akzente gesetzt werden, Akzente für eine große Neuordnung von städtischem Raum, die es so noch nie in Heidelberg gegeben hatte. Unsere künstlerischen Interventionen könnte man auch als Teil einer Art notwendigen Initiation verstehen, den Beginn einer ganz neuen Phase in der Geschichte der Stadt markierend.
Die Ausstellung wurde von Grete Werner-Wesner selbst kuratiert. Der gemeinsame Ausgangspunkt war der Bezug zum Ort, zu dessen Vergangenheit und Zukunft, wobei wir frei entscheiden konnten, bereits existierende Bilder und Skulpturen auszustellen oder neue Arbeiten für diesen Ort zu erschaffen und an ausgesuchten Stellen in Park oder Villa zu installieren. Als Gruppe von 12 Künstlern und Künstlerinnen hatten wir uns im Vorfeld regelmäßig getroffen, um die Ausstellung sowie das Begleitprogramm gemeinsam zu planen und zu organisieren. Wir luden Bürgerinitiativen und Projekte ein, sich mit eigenen Veranstaltungen zu beteiligen.
Über ein Jahr später nun, folgt die Herausgabe der Publikation „Kunst trifft Zeitgeschehen“, die zum einen die Ausstellung selbst und zum anderen die Vergangenheit dieses Areals, sowie seine zukünftigen Entwicklungen dokumentieren soll. Nicht nur die große Aufmerksamkeit, die unsere Ausstellung erzielt hatte, sondern gerade die Bedeutung des geschichtsträchtigen Ortes für Heidelberg und seine fast revolutionären temporären Verwandlungsprozesse sollen damit gewürdigt und reflektiert werden.
„Kunst trifft Zeitgeschehen“ - Zeit fließt, mit der Zeit verändern sich Strukturen, die uns umgeben und betreffen. Können wir da überhaupt mithandeln und wenn wie? Wir haben es versucht mittels Kunst in Park und Wohnhaus der Kommandozentrale einer Weltmacht. Wir haben versucht, dem Konversionsprozess in Heidelberg unbedingt aktiv gestaltend zu begegnen, einem Prozess, der aus tief in die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands hineinreichender Militärgeschichte, Zivilgeschichte werden lässt. Und als Herausgeberinnen haben Grete Werner-Wesner und ich es uns zum Ziel gesetzt, die dafür erschaffenen künstlerischen Positionen über eine zeitlich begrenzte Ausstellung hinaus sichtbar bleiben zu lassen. Wir mischen uns darüber hinaus ins Zeitgeschehen ein, indem wir folgende Beiträge für diese Publikation ausgesucht und in Auftrag gegeben haben.
Die ausführliche Darstellung der Ausstellung selbst mit allen Künstlerarbeiten stellt den Kern unserer Veröffentlichung dar, kunsthistorisch betrachtet und dabei stets einen roten Faden knüpfend, von Dr. Kristina Hoge, Heidelberger Galeristin und Kunsthistorikerin. Einen zweiten Schwerpunkt bilden die kunst- und kulturhistorischen Beiträge über die, einen Großteil des ehemaligen Headquarters einnehmende, sogenannte Großdeutschlandkaserne.
Die Großdeutschlandkaserne war von den Nationalsozialisten erbaut und genutzt worden. Nur noch wenige Zeitzeugen können sich an diesen Ort erinnern aus der Sicht von Kindern,
die sie damals waren: zum Beispiel an die Tage der Offenen Tür, wo die Regimenter ihre Panzer und anderes Kriegsgerät vorführten und Gugelhupf verteilten..., oder an die Aufmärsche, die regelmäßig in den Stadtteilen stattfanden und an denen sie bereits in jungen Jahren teilnehmen mussten. Und heute strömen wieder viele an den von der Stadt veranstalteten Tagen der Offenen Tür in das lang
verschlossene Gelände. Die Älteren erinnern sich an die Kasernen aus dem Zweiten Weltkrieg, die Jüngeren können nicht unterscheiden zwischen den von den Nationalsozialisten oder Amerikanern errichteten Bauten. Vor dieser Zeit bestand das Gelände aus Feldern und Gärten, die durch die Nazis enteignet worden waren und nun in gewisser Hinsicht wieder an die Bevölkerung zurück gegeben werden. Allerdings bebaut, benutzt, Mahnmale bleibend und zum Teil denkmalgeschützt, mit Freiflächen und zu Parks werdendem Grün dazwischen.
Diese historische und gesellschaftspolitische Dimension der Konversion, hat Prof. Hans Gercke, ehemaliger Direktor des Kunstvereins Heidelberg und Honorarprofessor an der Pädagogischen Hochschule, mit seinem Beitrag über die Kulturgeschichte des Areals in seiner ganzen Dimension dargestellt und kritisch hinterfragt.
Konversion in Heidelberg bedeutet aber nicht nur den radikalen Wechsel von militärischer zu ziviler Nutzung, sondern auch die Freigabe eines riesigen Gebietes, das belegt worden war von einer sich dort installierenden Besatzungsmacht, die sich nach und nach zu Verbündeten entwickelt hat. Diese Beziehung soll von Seiten der Stadt durch die Einrichtung eines Museums zur Dokumentation und Pflege der deutsch-amerikanischen Beziehungen mit dem Titel „Mark-Twain-Center“ gewürdigt werden. Bürgermeister Dr. Joachim Gerner, Dezernent für Familie, Soziales und Kultur, beschreibt in seinem Beitrag diese für Heidelberg so wichtige Komponente, wie auch die Kunstgeschichte der dafür vorgesehenen Gebäude, des sogenannten Keyes-Building, der ehemaligen Regimentsoffiziersmesse zusammen mit dem „Eddy-House“, der Kommandantenvilla. Jüngst hat der Gemeinderat die Einrichtung des MTC beschlossen, allerdings auch mit Gegenstimmen, die den hohen finanziellen Aufwand und eine einseitige Darstellung der US-amerikanischen Partner bemängeln.
Wir selbst und viele unserer Besucher hatten uns für die Zukunft dieses Ortes allerdings etwas ganz anderes vorgestellt: zum Beispiel eine städtische Galerie in den Räumen der Villa, wo auch Lesungen mit Konzerten und andere kulturelle Veranstaltungen hätten stattfinden können. Auszugsweise haben wir hier einige der in unserem Ausstellungsbuch notierten Wünsche dokumentiert.
Ein von der IBA Heidelberg versprochener Artikel über deren Projekt „Das grüne Band des Wissens“, nun auch „Der andere Park“ genannt, hat uns nie erreicht. Da damit verbunden Bürgerbeteiligungsprozesse initiiert wurden, war uns besonders wichtig, was die Menschen vor Ort bewegt und an Mit-Gestaltung tatsächlich bleibt. Unser freier Autor Dr. Franz Schneider redete mit den Betroffenen und beschreibt sowohl die Aktivitäten des Stadtteilvereins Südstadt, als auch die des selbstverwalteten Wohnprojektes „Konvisionäre“, das nach langjähriger Vorbereitungszeit endlich in die Realität umgesetzt werden kann, was wohlgemerkt in anderen Städten seit langem kein Novum mehr ist. Derselbe Autor schildert in einem weiteren Beitrag mit dem Titel „Wo ist der Panzer?“ seine ganz persönlichen Erlebnisse mit der Konversion.
Besonders freuen wir uns über die bearbeitete Fassung des Theatertextes „Conversion_1“, der Co-Produktion des Städtischen Theaters mit der freien Gruppe 'costa compagnie', die zwei Jahre lang recherchierte und mit Hilfe von Interviews, dokumentarischem Material und philosophischen Reflexionen im ehemaligen Hospital auf dem Konversionsgelände eine Art Theater-Collage mit Videosequenzen inszenierte. Eine andere Form der Auseinandersetzung, wie auch künstlerisches Pendant zu unserer Ausstellung, unter Verwendung weiterer Mittel und ästhetischer Medien.
Mit dem Beenden dieses Textes denke ich gleichzeitig an das Ausstellungsende vor einem Jahr, erinnere mich an die vielen Wochenenden, an denen wir anwesend waren, Aufsicht machten, Veranstaltungen organisierten. Ich erinnere mich an eine arbeitsintensive Zeit, an deren Ende erst uns deutlich wurde, wie sehr dieser Teil der ehemaligen Schaltzentrale des amerikanischen Militärs, bereits verwandelt worden war. Die Installationen hatten Spuren, Bilder und Skulpturen Leerstellen hinterlassen, und geblieben sind nur die bemalten Wände des Kaminzimmers. Es stellte sich eine gewisse Wehmut ein, diesen Ort wieder verlassen zu müssen. Und es wurde deutlich, wie sehr die Villa und der Park durch unsere künstlerischen Eingriffe nun belebt worden waren, gleichzeitig mit dem Ergrünen und Erblühen der Natur, die sozusagen in unsere Installationen hinein interveniert hatte, wohl als Antwort auf uns: „Park trifft Kunst“. Ein erster Schritt zur Neu-Gestaltung und Wieder-Aneignung war getan, nicht zuletzt durch die vielen interessierten und offenen Besucher, die zum Teil mehr als einmal kamen.
Es bleibt nun der Wunsch, dass die in der Ausstellung geschaffenen Bilder für Geschichte und Wandel, mit Hilfe dieser Publikation weiterhin in Resonanz gehen mögen und – in den Worten einer unserer Autoren – sich „hineinschreiben in das Geschichtsbuch der Stadt“, aus künstlerischer Sicht also „hineinbilden“ mögen in das Geschichtsbuch, mehr noch, sich gestaltend einmischen in das Bewusstsein der Stadt.