Ulm / Claudia Reicherter 13.06.2018
Ulm / Claudia Reicherter 13.06.2018
Du bist Luft für mich“, haben wir als Kinder gern mal zu Menschen gesagt, die uns nicht genehm waren. Wollten wir das penibel ignorierte Gegenüber zusätzlich herabwürdigen, packten wir noch ein „die Luft hier stinkt“ drauf. Fies. Und sowas von daneben. Jemanden als „Luft“ zu bezeichnen, ist in Anbetracht der Lebensnotwendigkeit dieses Stoffes schließlich eine kaum zu toppende Liebeserklärung. „Keine fünf Minuten können wir überleben, ohne zu atmen“, erklärt Isabel Greschat, die Direktorin des Museums der Brotkultur, das sich aktuell dem „Lebensmittel Luft“ widmet.
Welch’ Energie sich über das anscheinend unsichtbare Etwas um uns herum Luft machen kann, haben auch Ulmer gerade wieder erlebt. Als Winde im Gewittersturm Stühle und Blumentöpfe um-, Äste ab- und Trampoline in die Höhe rissen. Ein Grund mehr für Isabel Greschat, im dritten Teil ihrer drei Jahre umspannenden Trilogie zu den Elementen Wasser, Erde, Luft in der letzten Sonderausstellung vor einer fast einjährigen Umbaupause im Erdgeschoss des denkmalgeschützten Salzstadels die Luft in ihrer Doppelrolle als Gefährdete und Gefährderin zu zeigen.
Im Zentrum steht dabei ein seltsamer Satellit des Kölner Künstlers Björn Schülke. Das weiß lackierte Gebilde trötet scheinbar willkürlich los, sobald sich Besucher nähern. Dann setzen sich seine Propeller in Gang und das Konvolut aus Schläuchen und Spiegeln, Motoren und Sensoren, Blasebälgen und Orgelpfeifen beginnt sanft zu rotieren.
Schaukästen, Texte, Videos und Fotografien entfalten um Schülkes „Sentinel #1“ herum eine Art Wahrnehmungsgeschichte des Mediums Luft. Das Wetter, das hierzulande zuletzt 1816/17 Missernten und damit eine Hungersnot verursachte, gehört dazu ebenso wie der Klimawandel und die Luftverschmutzung. Camille Seaman (USA), Benedikt Partenheimer (Deutschland) und Tomás Saraceno (Argentinien) beleuchten in hochästhetischen Großformaten Wolkenberge, Smog und schwebende Menschen zwischen Himmel und Erde.
Anna Debora Zimmermanns Installation in einer hinteren Ecke schlägt den Bogen zurück zum Anfang, wo es passend zur Ausrichtung des Brotmuseums um Auswirkungen des Wetters auf die Lebensmittelversorgung ging. Schwarmartig aus dem Fenster in den Raum drängende durchsichtige Schwimmflügel ihres poetisch-luftigen Arrangements mit Nylonschnüren und Lautsprechern wecken Assoziationen an eine Zukunft, in der durch heiße Luft ansteigende Meeresspiegel immer mehr Menschen ihrer Heimat berauben. „Wir haben in Deutschland nicht mal eine rechtliche Grundlage, um Klimaflüchtlinge aufzunehmen“, erklärt Greschat zur von der Heidelberger Künstlerin vieldeutig „Les Misérables“ betitelten Arbeit.
Am Ende des Rundgangs schimmert Hoffnung durch: Designer und Unternehmer wollen die in Partenheimers chinesischen Stadtlandschaften optisch festgehaltene verschmutzte Luft wieder reinigen. Der Rotterdamer Daan Roosegaarde macht mit seinem Smog-Free-Tower aus herausgefiltertem Dreck Schmuckstücke, und die Schweizer Jan Wurzbacher und Christoph Gebald bannen in Island CO2 in Stein. Auf diese Art verwandelte Luft kann wenigstens keiner mehr ignorieren. Immerhin war selbst Albert Hammond schon anno 1972 klar: „All I Need Is The Air That I Breathe . . .“
LETZTE SONDERSCHAU VOR DER NEUGESTALTUNG
Umbau Auch wenn das Ulmer Brotmuseum in der Salzstadelgasse 10 von 10. September bis voraussichtlich Ende Mai 2019 geschlossen bleibt, verabschieden sich Museumsdirektorin Isabel Greschat und ihr Team keineswegs in den Urlaub. Sie betreuen und begleiten den Umbau der Dauerausstellung im 1. und 2. Stock und des Erdgeschosses mit Empfang, Garderobe, Shop und bereiten neue Audioguides und Publikationen vor.
Ausstellung Geöffnet ist „Lebensmittel Luft“ bis 9. September täglich 10-17 Uhr. Führungen und Veranstaltungen unter Tel. (0731) 699 55 und www.museum-brotkultur.de cli